Selektivvertrag: Patienten sollen schneller an medizinisches Cannabis gelangen

Seit gut vier Jahren bekommen Patienten nach einer entsprechenden Diagnose medizinisches Cannabis verschrieben. Wo liegt also das Problem? Laut Dr. Johannes Horlemann, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) lehnen die Krankenkassen bisher noch ein Drittel aller Anträge ab. Darunter leiden viele Patienten enorm. Diese Praxis könnte jetzt aber ein Ende haben.

Krankenkassen stellen sich quer

Insbesondere Schmerzpatienten und chronisch Kranke sollen in der Theorie von der Behandlung mit medizinischem Cannabis profitieren. Und zwar dann, wenn die herkömmlichen Standardverfahren ausgeschöpft sind und nicht der erhoffte Behandlungserfolg eingetreten ist. Bisher ist es allerdings so, dass die Krankenhassen einen sogenannten Genehmigungsvorbehalt haben.

Das bedeutet: Verschreibt der behandelnde Arzt einem schwerstkranken Patienten medizinisches Cannabis, kann sich die Krankenkasse trotzdem querstellen. Auch wenn die Krankenkassen die Therapie nach langwierigem Hin und Her gewähren, müssen Patienten so bis zur Versorgung unnötig lange warten.

Standardtherapien angeblich nicht ausgeschöpft

Ursächlich für diesen Missstand ist auch die Einschätzungspraxis der Krankenkassen. In der Regel führen die Versicherer an, dass die Möglichkeiten der Standardtherapien noch nicht ausgeschöpft sind. In anderen Fällen zweifeln die Kassen Indikationen für die Behandlung mit Cannabis an.

Häufig ist das bei Tumorschmerzen bei jungen Erwachsenen der Fall. Hinzu kommen bürokratische Hürden. Dazu, welche Erkrankung wirklich „schwerwiegend“ ist und wann eine spürbare Besserung durch Standardtherapien nicht unbedingt zu erwarten ist, lässt der Gesetzgeber großen Spielraum.

Diesen Interpretationsspielraum legen die Versicherer kaum verwunderlich unterschiedlich aus. Gleichzeitig müssen viele Patienten im Gegenzug für das Verschreiben von medizinischem Cannabis an begleitenden Studien teilnehmen. Dass das nicht jeder möchte, liegt auf der Hand.

Genehmigungsvorbehalt soll weg

Die DGS hat bereits Ende 2020 nähere Gespräche mit Experten für Suchterkrankungen, Krankenkassenvertretern und Bundestagsabgeordneten geführt. Dabei wurde ein „dringend erforderlicher Handlungsbedarf“ aufgedeckt, wobei unter anderem das bisherige Antragsverfahren in den Fokus geriet.

Nun wollen die AOK Rheinland/Hamburg und die DGS einen Selektivvertrag aushandeln, um die Hürden für die Versorgung mit medizinischem Cannabis abzubauen. Im Kern soll der Genehmigungsvorbehalt fallen. Verschreibt also ein Facharzt bei einer gegebenen Indikation medizinisches Cannabis, kann die Krankenkasse die Behandlung künftig nicht mehr ablehnen.

Ein Verfahren mit Modellcharakter

Der erstellte Selektivvertrag soll laut den Vorstellungen der Beteiligten als Modell für weitere gesetzliche Krankenkassen dienen. „Ziel der Initiative ist es, dass Patienten mit schweren oder unkontrollierbaren Symptomen eine Cannabistherapie zeitnah und unbehindert erhalten können“, so Horlemann.

Zunächst ist davon auszugehen, dass der Selektivvertrag deutschlandweit auf die AOK ausgeweitet wird, weitere Krankenkassen dürften folgen. Bis Ende 2021 will man das Projekt evaluieren. Für die unkomplizierte und vertrauensvolle Umsetzung sei es laut den Verantwortlichen der AOK jedoch wichtig, die Qualität der medizinischen Versorgung im Vorfeld genauestens unter die Lupe zu nehmen.

Dr. Horlemann dazu: „Dies wird gerechtfertigt durch ein 40-Stunden-Curriculum, mit dem wir die Qualifikation der verordnenden Ärzte als zwingendes Eingangskriterium für die Aufhebung des Genehmigungsvorbehaltes vorsehen“.